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ARBEITEN
«Das Verantwortungsbewusstsein gegenüber
der Berufstätigkeit ist gross».
Arbeitssoziologe Peter Streckeisen.
«Das Leben ist
nicht nur Arbeit»
Peter Streckeisen, 40, wollte als Kind Trompeter werden,
später Diplomat. Heute ist er Arbeitssoziologe an der Univer-
sität Basel. Seit er Vater ist, arbeitet er nur noch halbtags,
die mögliche akademische Karriere ist ihm das gut und gerne
wert. Ein Gespräch über das Leiden an der Arbeit.
LiMa: Herr Streckeisen, arbeiten Kinder im Spiel sind. Die Formen Lohnarbeit zum Königsweg sozialer
Sie gern? männlicher Herrschaft schrumpfen zwar, Integration; Lohnarbeit für die Stellung
Peter Streckeisen: Ich forsche, und das alte Patriarchale ist aufgebro- in der Gesellschaft und die eigene
schreibe, lehre und lerne, unterrichte und chen, aber es gibt noch viele Ambiva- Integrität. Aber diese Erfolgsstory bricht
habe darin meine Berufung gefunden. lenzen. in den vergangenen 30 Jahren für mehr
Die Leidenschaft des Soziologen ist, und mehr Menschen zusammen.
unsere Gesellschaft anders anzuschauen. Etwa die Lohngerechtigkeit, gleicher
Die Schattenseite ist der Muff von Lohn für gleiche Arbeit, ob Frau, ob Wir müssen doch arbeiten, um un-
tausend Jahren. Einerseits existieren an Mann. Wird es sie jemals geben? ser Leben zu finanzieren.
einer Uni feudale Abhängigkeiten, Kann sein. Aber was genau bedeutet Das ist die primäre gesellschaftliche
andererseits muss alles effizienter und gleiche Arbeit? Wenn wir Geschlechter- Norm. Aber für immer mehr Menschen
rationeller werden. Das ist ein Elend, gerechtigkeit in der Arbeitswelt wollen, wird es schwierig, danach zu leben. Das
das dazu führt, dass einem die Arbeit erklärt das Leiden an der Arbeit. Selbst-
verleiden könnte. Trotzdem … ausbeutung ist in der Berufswelt heute
«Ich bin überzeugt, alltäglich. Wenn man einmal nicht mehr
… lieben Sie Ihren Beruf? dass sich der Mann dem arbeiten kann – aus welchem Grund auch
Ich liebe meinen Beruf und gehe weiblichen Lebensbild immer – gilt das als verlorene, nicht als
darin auf, aber ich definiere mich nicht anpassen muss» gewonnene Zeit. Das ist doch paradox,
darüber. Als ich Vater wurde, habe ich Peter Streckeisen oder nicht? Das Leben ist nicht nur
mein Pensum auf 50 Prozent reduziert, Arbeit.
und genau so viel arbeite ich auch. Wer
in einem akademischen Umfeld Karriere müssen wir uns auch auf anderen Ebenen Sie plädieren also dafür, dass der
machen will, muss mehr geben, aber das entwickeln. Frauen müssen Karriere Beruf keinen zentralen Stellenwert
widerstrebt mir. Arbeit ist wichtig, ja, machen können wie Männer. Aber wir einnehmen sollte?
aber die Familie relativiert die Arbeit, stellen dabei die klassische Männerkarri- Sicher darf er, nur finden alternative
und eine gewisse Distanz zum Job ist ere nicht in Frage. Ich bin überzeugt, Lebensformen daneben keinen Platz
gesund. dass sich der Mann dem weiblichen mehr. Das nimmt in unserer Gesellschaft
Lebensbild angleichen muss. problematische Züge an. Natürlich ist
Die oft zitierte Work-Life-Balance? daran nicht alles schlecht, aber die
Wenn ein Mann «nur» 80 Prozent Wie meinen Sie das? Bedingungen werden härter. Der Ar-
arbeitet, gilt das als revolutionär. Aber Marx sagte, wer Lohnarbeit ver- beitsdruck steigt, das Tempo verschärft
80 Prozent sind doch viel zu viel, wenn richte, sei per se arm. Dann wurde die sich. Ein Beispiel: Früher hat der Chef
– 42 – LiMa Januar– Februar 2016